3.1.7 Produkt-Verteilungen

Lass uns nun noch näher anschauen, wie man Zwei-Bit-Systeme aus zwei einzelnen Bits erhält. Nehmen wir einmal an, wir haben die beiden probabilistischen Bits q=q0[0]+q1[1]q=q_{0}[0]+q_{1}[1] und r=r0[0]+r1[1]r=r_{0}[0]+r_{1}[1] gegeben. Wie können wir diese beiden zu einem Zwei-Bit-System zusammenführen? Bisher haben wir uns diese Frage zwar noch nicht explizit gestellt, allerdings haben wir in Abschnitt 1.1.1 schon gesehen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Ereignisse gleichzeitig auftreten, durch das Produkt ihrer Einzelwahrscheinlichkeiten gegeben ist. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Bits qq und rr im Zustand [00][00] sind q0r0q_{0}r_{0}. Genauso ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Zustand [01][01] sind q0r1q_{0}r_{1}. Wenn wir also uns alle vier Wahrscheinlichkeiten anschauen, erhalten wir

q0r0[00]+q0r1[01]+q1r0[10]+q1r1[11].q_{0}r_{0}[00]+q_{0}r_{1}[01]+q_{1}r_{0}[10]+q_{1}r_{1}[11]. (3.22)

Mit anderen Worten sind die vier Wahrscheinlichkeiten pabp_{ab} des kombinierten Zustands

p00[00]+p01[01]+p10[10]+p11[11]p_{00}[00]+p_{01}[01]+p_{10}[10]+p_{11}[11]

durch die folgende Gleichung gegeben:

pab=qarb.\displaystyle p_{ab}=q_{a}r_{b}. (3.23)

Du kannst einmal kontrollieren, dass die Wahrscheinlichkeiten der Messergebnisse wenn du das erste Bit misst durch qq und die Wahrscheinlichkeiten fürs zweite durch rr gegeben sind (dafür kannst du die Regel aus Abb. 3.2 und r0+r1=1r_{0}+r_{1}=1 sowie q0+q1=1q_{0}+q_{1}=1 nutzen). Der Zwei-Bit Zustand hat allerdings eine besondere Eigenschaft: die beiden Bits sind unabhängig (engl. independent) voneinander. Das bedeutet, dass du beim messen eines der beiden Bits keine Information über das andere Bit erhältst. In der folgenden Übung kannst du das mal selbst ausprobieren:

Übungsaufgabe 3.5 ( Unabhängige Bits (optional) ).

Nimm an, dass wir das erste Bit aus dem Zustand Gl. 3.22 messen und das Ergebnis als a{0,1}a\in\{0,1\} bezeichnen. Zeige, dass der Zustand des zweiten Bit rr ist, unabhängig vom Ergebnis aa des ersten Bits. Mit anderen Worten, die beiden Bits zu kombinieren und das erste Bit zu messen hat den Zustand des zweiten nicht beeinflusst (was es auch nicht sollte)!

Lösung. Nutzen wir Abb. 3.3, so können wir den Zustand des zweiten Bits nach dem Messen berechnen als
pa0[0]+pa1[1]pa0+pa1=qar0[0]+qar1[1]qar0+qar1=r0[0]+r1[1]r0+r1=r0[0]+r1[1]=r,\displaystyle\frac{p_{a0}[0]+p_{a1}[1]}{p_{a0}+p_{a1}}=\frac{q_{a}r_{0}[0]+q_{% a}r_{1}[1]}{q_{a}r_{0}+q_{a}r_{1}}=\frac{r_{0}[0]+r_{1}[1]}{r_{0}+r_{1}}=r_{0}% [0]+r_{1}[1]=r,
wobei wir qaq_{a} gestrichen haben und benutzt haben, dass r0+r1=1r_{0}+r_{1}=1.

Für diese besondere Struktur führen wir eine Notation ein. Und zwar benutzen wir das Symbol “\otimes”, wenn wir zwei probabilistische Bits zu einem einzelnen System aus zwei Bits kombinieren wollen:

qr=(q0[0]+q1[1])(r0[0]+r1[1])\displaystyle q\otimes r=\big{\lparen}q_{0}[0]+q_{1}[1]\big{\rparen}\otimes% \big{\lparen}r_{0}[0]+r_{1}[1]\big{\rparen} (3.24)

Das Symbol “\otimes” heißt Tensorprodukt oder auch Kronecker-Produkt. Wie können wir also diese seltsame Notation in eine Verteilung von zwei Bits wie in Gl. 3.22 umwandeln? Zunächst stellen wir fest, dass die Operation “\otimes” auf deterministischen Bits einfach ein aneinanderreihen (auch “konkatenieren”) der Zeichenkette ist. Zum Beispiel gilt

[0][1]=[01].[0]\otimes[1]=[01]. (3.25)

Das ergibt Sinn, da ein Bit im Zustand [0][0] und ein anderes Bit im Zustand [1][1] zu haben das gleiche ist, wie zwei Bits im Zustand [01][01]. Wie immer können wir die uns gut bekannte Linearität um Hilfe bitten, wenn wir diese Regel auf probabilistische Bits erweitern wollen. Durch Linearität können wir beide Terme aus Gl. 3.24 erweitern und anschließend die Konkatenationsregel aus Gl. 3.25 anwenden:

(q0[0]+q1[1])(r0[0]+r1[1])\displaystyle\big{\lparen}q_{0}[0]+q_{1}[1]\big{\rparen}\otimes\big{\lparen}r_% {0}[0]+r_{1}[1]\big{\rparen}
=q0r0([0][0])+q0r1([0][1])+q1r0([1][0])+q1r1([1][1])\displaystyle=q_{0}r_{0}\big{\lparen}[0]\otimes[0]\big{\rparen}+q_{0}r_{1}\big% {\lparen}[0]\otimes[1]\big{\rparen}+q_{1}r_{0}\big{\lparen}[1]\otimes[0]\big{% \rparen}+q_{1}r_{1}\big{\lparen}[1]\otimes[1]\big{\rparen}
=q0r0[00]+q0r1[01]+q1r0[10]+q1r1[11].\displaystyle=q_{0}r_{0}[00]+q_{0}r_{1}[01]+q_{1}r_{0}[10]+q_{1}r_{1}[11].

Beachte, dass wir wieder die Verteilung aus Gl. 3.22 erhalten haben. Mit anderen Worten, wir haben gezeigt, dass die beiden Gleichungen (3.24) und (3.22) identisch sind:

(q0[0]+q1[1])(r0[0]+r1[1])=q0r0[00]+q0r1[01]+q1r0[10]+q1r1[11].\big{\lparen}q_{0}[0]+q_{1}[1]\big{\rparen}\otimes\big{\lparen}r_{0}[0]+r_{1}[% 1]\big{\rparen}=q_{0}r_{0}[00]+q_{0}r_{1}[01]+q_{1}r_{0}[10]+q_{1}r_{1}[11]. (3.26)

Das bedeutet, dass wir die “\otimes”-Operation tatsächlich konsistent zu unseren vorherigen Überlegungen ist, dass die Wahrscheinlichkeitsverteilung eines Zwei-Bit-Systems durch multiplizieren der Einzelwahrscheinlichkeiten gebildet wird, siehe Gl. 3.23.

Beachte, dass Gl. 3.26 dem Distributivgesetz für Addition und Multiplikation stark ähnelt:

(a+b)(c+d)=ac+ad+bc+bd.(a+b)(c+d)=ac+ad+bc+bd.

Der einzige Unterschied ist, dass wir anstelle von Zahlen nun Vektoren und anstelle der Multiplikation die Konkatenationsregel [a][b]=[a,b][a]\otimes[b]=[a,b] nutzen. Wichtig ist jedoch, dass die Reihenfolge der Argumente bei der Konkatenation wichtig ist, während bei der Multiplikation in den meisten Fällen das Kommutativgesetz gilt. Im Allgemeinen ist also [a,b][b,a][a,b]\neq[b,a], da [a][a] und [b][b] zu konkatenieren nicht das gleiche ist wie [b][b] und [a][a] zu konkatenieren. Du kannst das übrigens mithilfe der Vektornotation überprüfen, indem du das Tensorprodukt wie folgt schreibst:

(q0q1)(r0r1)=(q0(r0r1)q1(r0r1))=(q0r0q0r1q1r0q1r1),\begin{pmatrix}q_{0}\\ q_{1}\end{pmatrix}\otimes\begin{pmatrix}r_{0}\\ r_{1}\end{pmatrix}=\begin{pmatrix}q_{0}\begin{pmatrix}r_{0}\\ r_{1}\end{pmatrix}\\ q_{1}\begin{pmatrix}r_{0}\\ r_{1}\end{pmatrix}\end{pmatrix}=\begin{pmatrix}q_{0}r_{0}\\ q_{0}r_{1}\\ q_{1}r_{0}\\ q_{1}r_{1}\end{pmatrix},

wobei der zweite Ausdruck ein sogenannter Blockvektor ist, dessen beide Einträge jeweils selbst Vektoren sind.

Das Tensorprodukt liefert einen schnellen Weg, um zu verstehen, was im Schaltkreis (3.12) passiert, den wir hier noch einmal wiederholen:

[Uncaptioned image]

Beachte, dass beide Zustände unabhängig voneinander in den Zustand 13[0]+23[1]\frac{1}{3}[0]+\frac{2}{3}[1] gebracht werden. Daher ist der kombinierte Zustand beider Bits

(13[0]+23[1])(13[0]+23[1])=19[00]+29[01]+29[10]+49[11]=(1/92/92/94/9)(11.1%22.2%22.2%44.4%),\displaystyle\left(\frac{1}{3}[0]+\frac{2}{3}[1]\right)\otimes\left(\frac{1}{3% }[0]+\frac{2}{3}[1]\right)=\frac{1}{9}[00]+\frac{2}{9}[01]+\frac{2}{9}[10]+% \frac{4}{9}[11]=\begin{pmatrix}1/9\\ 2/9\\ 2/9\\ 4/9\end{pmatrix}\approx\begin{pmatrix}11.1\%\\ 22.2\%\\ 22.2\%\\ 44.4\%\end{pmatrix},

was mit dem Ergebnis von Quirky übereinstimmt.

Hausaufgabe 3.3 (Das Tensorprodukt).

Finde zwei probabilistische Bits qq und rr, sodass folgende Gleichung gilt:

qr=0.48[00]+0.32[01]+0.12[10]+0.08[11].q\otimes r=0.48[00]+0.32[01]+0.12[10]+0.08[11].
Hack.

Choose q=0.8[0]+0.2[1]q=0.8[0]+0.2[1] and r=0.6[0]+0.4[1]r=0.6[0]+0.4[1]. One can then simply check using Gl. 3.22 that the product distribution qrq\otimes r indeed coincides with the one supplied in the statement of the question:

(0.8[0]+0.2[1])(0.6[0]+0.4[1])\displaystyle\left(0.8[0]+0.2[1]\right)\otimes\left(0.6[0]+0.4[1]\right) =0.80.6[00]+0.80.4[01]+0.20.6[10]+0.20.4[11]\displaystyle=0.8\cdot 0.6[00]+0.8\cdot 0.4[01]+0.2\cdot 0.6[10]+0.2\cdot 0.4[% 11]
=0.48[00]+0.32[01]+0.12[10]+0.08[11]\displaystyle=0.48[00]+0.32[01]+0.12[10]+0.08[11]

Das Tensorprodukt erlaubt ns auch kompaktere Schreibweisen für lokale Operationen zu nutzen. So gilt wenn MM eine Operation auf einem Bit ist, dass

M1([a][b])=M[a][b],M2([a][b])=[a]M[b].\displaystyle M_{1}([a]\otimes[b])=M[a]\otimes[b],\qquad M_{2}([a]\otimes[b])=% [a]\otimes M[b]. (3.27)

Das stimmt mit den Gleichungen aus Abschnitt 3.1.2 überein.


Da die oben beschriebenen Zwei-Bit-Verteilungen durch ein Produkt von zwei Ein-Bit-Zuständen p=qrp=q\otimes r entstanden sind, heißen sie Produktzustände oder Produkt-Verteilungen. Wie du in 3.5 gesehen hast, modellieren Produktzustände Situationen, in denen zwei Bits unabhängig voneinander sind, zum Beispiel wen zwei Münzen geworfen werden. Aber, ist jeder Zwei-Bit-Zustand ein Produktzustand? Interessanterweise werden wir im nächsten Abschnitt sehen, dass dies nicht der Fall ist.