4.2.5 Die Unschärferelation

Für das letzte Phänomen, das wir besprechen wollen, benötigen wir nur ein einzelnes Qubit. Erinnern wir uns an die Regeln für die Messung eines einzelnen Qubits aus Gl. 2.6, die im folgenden Bild dargestellt sind:

[Uncaptioned image]

Gegeben einen Quantenzustand |ψ=ψ0|0+ψ1|1\left|\psi\right\rangle=\psi_{0}\left|0\right\rangle+\psi_{1}\left|1\right\rangle erhalten wir die zwei möglichen Ergebnisse mit den Wahrscheinlichkeiten

p0=ψ02,p1=ψ12.p_{0}=\psi_{0}^{2},\qquad p_{1}=\psi_{1}^{2}. (4.19)

Welches sind die deterministischen Zustände, bei denen wir eines der Ergebnisse mit Sicherheit erhalten? Das sind Zustände, bei denen die eine Wahrscheinlichkeit 100% und die andere 0% beträgt. Mit anderen Worten: Zustände, bei denen die eine Amplitude ±1\pm 1 und die andere Null ist. Bis auf ein globales Vorzeichen, das, wie wir aus 2.7 wissen, irrelevant ist, gibt es nur zwei solcher Zustände:

|0=(10),|1=(01),\left|0\right\rangle=\begin{pmatrix}1\\ 0\end{pmatrix},\qquad\left|1\right\rangle=\begin{pmatrix}0\\ 1\end{pmatrix}, (4.20)

also die Basiszustände. Das sind auch die einzigen beiden Zustände, bei denen wir das Messergebnis perfekt vorhersagen können, also sagen wir, dass es keine Ungewissheit oder Unschärfe (engl. uncertainty) in dem Messergebnis gibt.

Was passiert, wenn wir zunächst eine Operation auf dem Qubit ausführen und anschließend messen? Beispielsweise könnten wir zuerst die Hadamard-Operation anwenden und dann messen, wie in diesem Bild:

[Uncaptioned image]

Hier sind die einzigen Zustände, bei denen wir uns sicher über das Messergebnis sind

|+=12(11),|=12(11)\left|+\right\rangle=\frac{1}{\sqrt{2}}\begin{pmatrix}1\\ 1\end{pmatrix},\qquad\left|-\right\rangle=\frac{1}{\sqrt{2}}\begin{pmatrix}1\\ -1\end{pmatrix} (4.21)

(bis auf ein globales Vorzeichen). Das liegt daran, dass die Hadamard-Operationen |+\left|+\right\rangle,|\left|-\right\rangle zurück auf die Basiszustände |0\left|0\right\rangle, |1\left|1\right\rangle abbildet (das hast du in 4.5 gezeigt); die letzten beiden sind dabei genau die Zustände, bei denen wir endgültige Gewissheit über das Messergebnis haben, wie oben besprochen. Wir können das auch überprüfen, indem wir die Wahrscheinlichkeiten der Messergebnisse berechnen

q0=(ψ0+ψ1)22,q1=(ψ0ψ1)22.q_{0}=\frac{(\psi_{0}+\psi_{1})^{2}}{2},\qquad q_{1}=\frac{(\psi_{0}-\psi_{1})% ^{2}}{2}. (4.22)

Wenn q1=0q_{1}=0 ist, dann ist der Zustand |+\left|+\right\rangle, während für q0=0q_{0}=0 sich der Zustand |\left|-\right\rangle ergibt (bis auf globale Vorzeichen).

Das sind alles Berechnungen, die wir schon mehrfach gesehen haben – allerdings gibt es eine interessante Beobachtung, die wir bisher nicht gemacht haben. Da keiner der Zustände sowohl in Gl. 4.20 als auch in Gl. 4.21 vorkommt, muss für jeden Zustand eine der beiden Messvorgänge Ungewissheit im Messergebnis haben. Dieses Ergebnis ist genau die bekannte Heisenbergsche Unschärferelation!

Können wir diese Beobachtung quantitativer machen? Zunächst brauchen wir eine Möglichkeit, die Ungewissheit oder “Zufälligkeit” zu quantifizieren, die durch eine Wahrscheinlichkeitsverteilung p=(p0p1)p=\bigl{(}\begin{smallmatrix}p_{0}\\ p_{1}\end{smallmatrix}\bigr{)} gegeben ist. Die folgende Funktion ist eine gute Wahl:

(p)=p0(1p0)=p0p1.\displaystyle\operatorname{}(p)=p_{0}(1-p_{0})=p_{0}p_{1}.

Sie bildet die Werte auf [0,/4][0,/4] ab und ist minimal wenn eines der beiden Messergebnisse mit Wahrscheinlichkeit 0 auftritt (also wenn p0=0p_{0}=0 oder p1=0p_{1}=0) und ist genau dann maximal, wenn beide Ergebnisse gleich wahrscheinlich sind (also p0=p1=1/2p_{0}=p_{1}=1/2). Hier siehst du die Funktion grafisch:

Nehmen wir jetzt an, dass wir mit dem Zustand |ψ\left|\psi\right\rangle starten und eine der beiden Messungen von oben vornehmen. Soll heißen, wir messen den Zustand entweder direkt, oder wir wenden vorher die Hadamard-Operation an und messen anschließend. Die entsprechenden Ungewissheiten sind (p)\operatorname{}(p) und (q)\operatorname{}(q) wobei die Verteilungen p=(p0p1)p=\bigl{(}\begin{smallmatrix}p_{0}\\ p_{1}\end{smallmatrix}\bigr{)} und q=(q0q1)q=\bigl{(}\begin{smallmatrix}q_{0}\\ q_{1}\end{smallmatrix}\bigr{)} in Gl. 4.19 und 4.22 gegeben sind. Dann gilt:

(p)+(q)>0.\displaystyle\operatorname{}(p)+\operatorname{}(q)>0.

Tatsächlich bedeutet diese Ungleichung genau, dass es keinen Zustand gibt, für den beiden Ungewissheiten gleichzeitig null sind. In der folgenden Hausaufgabe wirst du eine genauere Abschätzung zeigen.

Hausaufgabe 4.4 (Das Gleichgewicht der Ungewissheit).

Zeige, dass für jeden Quantenzustand |ψ\left|\psi\right\rangle gilt:

(p)+(q)=14.\operatorname{}(p)+\operatorname{}(q)=\frac{1}{4}. (4.23)

Finde weiterhin einen Quantenzustand |ψ\left|\psi\right\rangle sodass (p)=(q)\operatorname{}(p)=\operatorname{}(q).

Bonusaufgabe: Erstelle diesen Zustand mit Quirky und zeige mit Quirky, dass tatsächlich (p)=(q)\operatorname{}(p)=\operatorname{}(q).

Hack.

Using Gl. 4.19 und 4.22 and the fact that ψ02+ψ12=1\psi_{0}^{2}+\psi_{1}^{2}=1, we confirm the equality:

(p)+(q)\displaystyle\operatorname{}(p)+\operatorname{}(q) =ψ02ψ12+(ψ0+ψ1)22(ψ0ψ1)22\displaystyle=\psi_{0}^{2}\psi_{1}^{2}+\frac{(\psi_{0}+\psi_{1})^{2}}{2}\frac{% (\psi_{0}-\psi_{1})^{2}}{2}
=ψ02ψ12+(ψ02+2ψ0ψ1+ψ12)(ψ022ψ0ψ1+ψ12)4\displaystyle=\psi_{0}^{2}\psi_{1}^{2}+\frac{(\psi_{0}^{2}+2\psi_{0}\psi_{1}+% \psi_{1}^{2})(\psi_{0}^{2}-2\psi_{0}\psi_{1}+\psi_{1}^{2})}{4}
=ψ02ψ12+(1+2ψ0ψ1)(12ψ0ψ1)4\displaystyle=\psi_{0}^{2}\psi_{1}^{2}+\frac{(1+2\psi_{0}\psi_{1})(1-2\psi_{0}% \psi_{1})}{4}
=ψ02ψ12+14ψ02ψ124=14.\displaystyle=\psi_{0}^{2}\psi_{1}^{2}+\frac{1-4\psi^{2}_{0}\psi^{2}_{1}}{4}=% \frac{1}{4}.

Alternatively, you could also parametrize the qubit state by |ψ(θ)\left|\psi(\theta)\right\rangle and compute that

(p)\displaystyle\operatorname{}(p) =sin2(θ)cos2(θ)=14sin2(2θ),\displaystyle=\sin^{2}(\theta)\cos^{2}(\theta)=\frac{1}{4}\sin^{2}(2\theta),
(q)\displaystyle\operatorname{}(q) ==14cos2(2θ),\displaystyle=\dots=\frac{1}{4}\cos^{2}(2\theta),

which again shows that (p)+(q)=14\operatorname{}(p)+\operatorname{}(q)=\frac{1}{4}.

For the second part of the problem, an intutive guess is that |ψ(π/8)\left|\psi(\pi/8)\right\rangle should work, since it lies right in the middle of the two states |0=|ψ(0)\left|0\right\rangle=\left|\psi(0)\right\rangle and |+=|ψ(π/4)\left|+\right\rangle=\left|\psi(\pi/4)\right\rangle. Indeed:

(p)=14sin2(π/4)=1412=18,\displaystyle\operatorname{}(p)=\frac{1}{4}\sin^{2}(\pi/4)=\frac{1}{4}\cdot% \frac{1}{2}=\frac{1}{8},

so also (q)=14(p)=18\operatorname{}(q)=\frac{1}{4}-\operatorname{}(p)=\frac{1}{8}.

We can test this as follows using Quirky:

[Uncaptioned image]

The picture confirms that p1=q1p_{1}=q_{1}, hence also (p)=(q)\operatorname{}(p)=\operatorname{}(q).

Die Gleichung, die du gerade in 4.4 bewiesen hast ist sehr bemerkenswert: sie zeigt, dass es ein einfaches Tradeoff zwischen den Ungewissheiten der beiden Messungen gibt. Genauer gesagt, wenn eine Messung eine Ungewissheit von null hat, ist das Ergebnis der anderen uniform zufällig! 1313 13 Das können wir auch direkt sehen. Wenn wir z.B. den Zustand |+\left|+\right\rangle (ein Zustand, der bei der zweiten Messung keine Ungewissheit hat) messen, ohne vorher eine Hadamard-Operation anzuwenden, erhalten wir die Ergebnisse 0 und 11 mit gleicher Wahrscheinlichkeit.