2.6.1 Interferenz

Einer der wichtigsten physikalischen Effekte, den sich Quantencomputer zunutze machen, ist die Interferenz – die Interaktion zwischen zwei sich überlappenden Wellen oder Oszillationen. Du kannst Interferenzen zum Beispiel in der Form der Wellen von zwei aneinander vorbeifahrenden Booten beobachten, oder indem du zwei Steine gleichzeitig in einen See wirfst und dir die Wellenmuster anschaust. Wenn sich die Wellen gegenseitig verstärken, nennt man das konstruktiv, wenn sie sich dagegen gegenseitig aufheben sind sie destruktiv (siehe Abb. 2.7).

Abbildung 2.7: Interferenz zweier Wellen: die Amplituden der blauen und orangenen Wellen addieren sich an jeder Stelle zu der Amplitude der grünen auf. Wenn beide Wellen das gleiche Vorzeichen haben, ist die Interferenz konstruktiv und resultiert in einer noch höheren Amplitude. Haben die Wellen dagegen gegensätzliche Vorzeichen, ist die Interferenz destruktiv und die Amplitude schrumpft.

Interferenz tritt auch in anderen Umgebungen auf, beispielsweise bei Schallwellen. Vielleicht kennst du ja destruktive Interferenz schon von Noise-Cancelling Kopfhörern. Diese funktionieren, indem sie störende Hintergrundgeräusche aufnehmen und mit umgedrehter Oszillationsrichtung wieder abspielen. Überlagern sich diese zwei Schallwellen dann, so heben sie sich gegenseitig auf: 11=01-1=0. Würden die Kopfhörer die Oszillationsrichtung nicht umkehren, würdest du die Geräusche viel lauter hören: 1+1=21+1=2. Dann wären deine Kopfhörer praktisch Hörgeräte!

Mit Qubits können wir im Gegensatz zu probabilistischen Bits beide Arten von Interferenz nutzen – konstruktive und destruktive – während probabilistische Berechnungen nur konstruktive Interferenz nutzen können. Mathematisch können wir das mit der Flip-Operation F(1/2)F(1/2) und der Hadamard-Operation HH aus Gl. 1.28 und 2.34 zeigen:

F(1/2)[0]=12[0]+12[1],H|0=12|0+12|1,\displaystyle F(1/2)\,[0]=\frac{1}{2}\,[0]+\frac{1}{2}\,[1],\qquad H\left|0% \right\rangle=\frac{1}{\sqrt{2}}\left|0\right\rangle+\frac{1}{\sqrt{2}}\left|1% \right\rangle,
F(1/2)[1]=12[0]+12[1],H|1=12|012|1.\displaystyle F(1/2)\,[1]=\frac{1}{2}\,[0]\color[rgb]{0,0,1}+\frac{1}{2}\,[1],% \qquad H\left|1\right\rangle=\frac{1}{\sqrt{2}}\left|0\right\rangle\color[rgb]% {1,0,0}-\frac{1}{\sqrt{2}}\left|1\right\rangle. (2.38)

Bis auf die Quadratwurzeln sind beide Operationen fast identisch. Allerdings unterscheidet sich F(1/2)[1]F(1/2)\,[1] durch das Plus von H|1H\left|1\right\rangle, welches ein Minus hat. Das scheint nur ein kleiner Unterschied zu sein, aber dieser hat große Folgen.

Lass uns doch einmal anschauen wie sich diese zwei Operationen auf die Gleichverteilung 12[0]+12[1]\frac{1}{2}\,[0]+\frac{1}{2}\,[1] und deren quanten-analog, den Plus-Zustand |+=12|0+12|1\left|+\right\rangle=\frac{1}{\sqrt{2}}\left|0\right\rangle+\frac{1}{\sqrt{2}}% \left|1\right\rangle auswirken. Die Flip-Operation F(1/2)F(1/2) hat folgenden Effekt auf die Gleichverteilung:

F(1/2)(12[0]+12[1])\displaystyle F(1/2)\,\left\lparen\frac{1}{2}\,[0]+\frac{1}{2}\,[1]\right\rparen =12F(1/2)[0]+12F(1/2)[1]\displaystyle=\frac{1}{2}\,F(1/2)\,[0]+\frac{1}{2}\,F(1/2)\,[1]
=12(12[0]+12[1])+12(12[0]+12[1])\displaystyle=\frac{1}{2}\left\lparen\frac{1}{2}\,[0]+\frac{1}{2}\,[1]\right% \rparen+\frac{1}{2}\left\lparen\frac{1}{2}\,[0]\color[rgb]{0,0,1}+\frac{1}{2}% \,[1]\right\rparen
=(1212+1212)[0]+(1212+1212)[1]\displaystyle=\left\lparen\frac{1}{2}\cdot\frac{1}{2}+\frac{1}{2}\cdot\frac{1}% {2}\right\rparen\,[0]+\left\lparen\frac{1}{2}\cdot\frac{1}{2}\color[rgb]{0,0,1% }+\frac{1}{2}\cdot\frac{1}{2}\right\rparen\,[1]
=12[0]+12[1],\displaystyle=\frac{1}{2}\,[0]+\frac{1}{2}\,[1],

wobei wir die Linearität und Gl. 2.38 angewandt, sowie die Wahrscheinlichkeiten der Zustände [0][0] und [1][1] zusammengefasst haben. Beachte, dass sich die Wahrscheinlichkeiten für [1][1] der beiden Terme zu 1/21/2 verstärken. Das entspricht unserer Intuition: wenn man eine uniform zufällige Münze uniform zufällig flippt, bleibt sie uniform zufällig.

Jetzt betrachten wir aber den Effekt der Hadamard-Operation auf den Plus-Zustand |+\left|+\right\rangle:

H(12|0+12|1)\displaystyle H\left\lparen\frac{1}{\sqrt{2}}\left|0\right\rangle+\frac{1}{% \sqrt{2}}\left|1\right\rangle\right\rparen =12H|0+12H|1\displaystyle=\frac{1}{\sqrt{2}}\,H\left|0\right\rangle+\frac{1}{\sqrt{2}}\,H% \left|1\right\rangle
=12(12|0+12|1)+12(12|012|1)\displaystyle=\frac{1}{\sqrt{2}}\left\lparen\frac{1}{\sqrt{2}}\left|0\right% \rangle+\frac{1}{\sqrt{2}}\left|1\right\rangle\right\rparen+\frac{1}{\sqrt{2}}% \left\lparen\frac{1}{\sqrt{2}}\left|0\right\rangle\color[rgb]{1,0,0}-\frac{1}{% \sqrt{2}}\left|1\right\rangle\right\rparen
=(1212+1212)|0+(12121212)|1\displaystyle=\left\lparen\frac{1}{\sqrt{2}}\cdot\frac{1}{\sqrt{2}}+\frac{1}{% \sqrt{2}}\cdot\frac{1}{\sqrt{2}}\right\rparen\left|0\right\rangle+\left\lparen% \frac{1}{\sqrt{2}}\cdot\frac{1}{\sqrt{2}}\color[rgb]{1,0,0}-\frac{1}{\sqrt{2}}% \cdot\frac{1}{\sqrt{2}}\right\rparen\left|1\right\rangle
=|0.\displaystyle=\left|0\right\rangle.

Die Berechnung ist sehr ähnlich, das Ergebnis aber ein vollkommen anderes – die Amplituden von |1\left|1\right\rangle heben sich vollständig auf und übrig bleibt nur |0\left|0\right\rangle. Eine solche destruktive Interferenz ist mit probabilistischen Bits nicht möglich, da die Wahrscheinlichkeiten immer positiv sind – sie können sich nur verstärken, nicht aufheben.

Zwar sind probabilistische und Quanten-Bits sehr ähnlich, allerdings zeigt das Beispiel, dass sie sich dank destruktiver Interferenz sehr unterschiedlich verhalten. Viele der Quantenüberraschungen, die du in den nächsten Wochen kennenlernen wirst, sind auf die eine oder andere Art auf dieses Phänomen zurückzuführen. Die Existenz von destruktiven Interferenzen ist ein Grund, warum Quantencomputer einen Vorteil gegenüber klassischen Computern haben – sie ermöglicht es dem Quantencomputer die richtige Antwort auszugeben, während falsche Antworten sich durch destruktive Interferenz aufheben. Wie wir in Quests 4 und 5 mit mehr Detail besprechen werden, hilft dabei häufig das Hadamard-Gatter, welches eine wichtige Rolle in Quantenalgorithmen spielt.